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Was ist eigentlich: Astroturfing?

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Oder: wie vertrauenswürdig kann eigentlich User-Content noch sein, wenn er so leicht fälschbar ist?


 

Astroturfing ist ein Begriff, der einem in letzter Zeit häufiger begegnet. So vermeldete im vergangenen Herbst das netzpolitik.org-Blog Astroturfing bei Stuttgart 21, und der Heise-Ticker berichtete wenige Wochen später von Astroturfing bei Twitter. Vor allem aber im Zusammenhang mit den heftigen, selbst für gestandene Netizens überraschenden Netzbewegungen contra und pro Guttenberg wurde der Ausdruck dann verstärkt bemüht: Astroturfing für zu Guttenberg, titelt etwa Hadmut Danisch, und die Medienfabrikation fragt AstroTurfing oder Petitio Principii: das Geheimnis hinter Guttenbergs Facebook Erfolg?

Wie fast immer kann man solche Begriffe längst schon bei Wikipedia nachschlagen. Im Wikipedia-Artikel zu Astroturfing wird als zusammenfassende Definition angeboten: „Der Begriff Astroturfing bezeichnet – insbesondere im amerikanischen Sprachraum – Public-Relations- und kommerzielle Werbeprojekte, die darauf abzielen, den Eindruck einer spontanen Graswurzelbewegung vorzutäuschen. Ziel ist dabei, den Anschein einer unabhängigen öffentlichen Meinungsäußerung über Politiker, politische Gruppen, Produkte, Dienstleistungen, Ereignisse usw. zu erwecken, indem das Verhalten vieler verschiedener und geographisch getrennter Einzelpersonen zentral gesteuert wird.“ Das Wort Astroturfing bezeichnet eine Art Kunstrasenbewegung anstelle einer echten Graswurzelbewegung, wobei das Wort sich von einer existierenden Kunstrasenmarke herleitet.

Astroturfing ist, wenn Authentizität bei veröffentlichten Meinungen in Wirklichkeit getürkt ist. Das beginnt etwa bei einer Amazon-Rezension, die vollkommen echt wirkt – etwas wortreich vielleicht, mit ein paar Rechtschreibfehlern versehen und vielleicht mit irgendwas, das die meisten Leser zum Lachen bringt. Also eine rundherum nette, lebendige Durchschnittsrezension, die genau deswegen von den meisten Lesern als vertrauenswürdig und authentisch eingestuft wird – das höchste Prädikat, das ein Text im Netz verliehen bekommen kann. Es handelt sich vielleicht um eine Zwei-Sterne-Rezension, die das Produkt, auf das sie sich bezieht, nicht völlig verdammt, aber so ganz nebenbei ein Konkurrenzprodukt nennt, vielleicht mit Worten wie: „ein Freund hat sich übrigens XY zugelegt, und wie es aussieht hat der wohl mehr Glück gehabt als ich“. Niemand entdeckt, dass eine solche Rezension in Wirklichkeit von einem PR-Freelancer verfasst wurde, der von der Konkurrenz angeheuert wurde. Der freut sich über ein paar Euro, während die Rezension kaum geahnte Kräfte entfaltet. Hunderte, vielleicht tausende von Kaufinteressenten machen sich die Mühe, im Amazon-Suchfeld nach XY zu suchen.

Manchmal sind es sogar Geschäftsführer, die solche getürkten Rezensionen schreiben. So wie – und dieser Fall ist kein fiktives Beispiel – Helmut Hoffer von Ankershoffen, ehemaliger Geschäftsführer der WeTab GmbH. Um das WeTab zu pushen, verfasste er unter einem Pseudonym eine verlockende Kaufempfehlung für das Tablet – als Kundenrezension bei Amazon. Weil er in seinen Amazon-Privateinstellungen einen Fehler gemacht hatte, wurde die Sache bekannt und von Ankershoffen war gezwungen, als Geschäftsführer zurückzutreten. Das WeTab erlitt durch die Aktion einen erheblichen Image-Schaden.

Rechtsanwalt Henning Krieg, der über diesen Fall in Astroturfing – rechtliche Probleme bei Fake-Bewertungen im Internet schrieb, merkt an, dass derartige Fake-Bewertungen in Deutschland durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) belangbar sind. Das Problem ist aber weniger die rechtliche Verfolgbarkeit, sondern die meist schwere Nachweisbarkeit. Das gilt auch für spektakulärere Aktionen. Astroturfing war es nämlich auch, was vielfach hinter den beiden Facebook-Fanseiten Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg und Wir wollen Guttenberg zurück vermutet wurde. Szene-Blogger Sascha Lobo rief zum gemeinsamen Sammeln von Messdaten auf, um die beiden Seiten mit den rekordverdächtigen Fan-Zahlen zu entlarven. Am Ende kam er jedoch zu dem Resümee: die meisten Fans sind wohl echt.

Astroturfing trifft das Social Web an seiner empfindlichsten Stelle. Denn wenn auf die Authentizität von Kundenrezensionen, Fan-Bekundungen oder ganzen Debatten kein Verlass mehr ist, wird letztlich das gesamte Mitmach-Web zur Farce. Beim Kampf gegen Astroturfing helfen jedoch keine bloßen Drohungen mit dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, zumindest nicht, solange zu viele Fälle unentdeckt bleiben. Die Frage ist, wie sich die Aufdeckquote verbessern lässt, ohne wie einige CDU-Politiker nach Maßnahmen wie einem Vermummungsverbot im Netz zu verlangen, und ohne im Netz ein Netz aus Schnüfflern und Denunzianten zu errichten. Die Aktion von Sascha Lobo war in dieser Hinsicht auf jeden Fall lobenswert, in ihrer Form allerdings auf Einmaligkeit und einen bestimmten Fall ausgerichtet. Im englischsprachigen Raum gibt es vereinzelte Initiativen wie die AntiAstroturfing Homepage, die vermutete oder bekannt gewordene Fälle von Astroturfing innerhalb eines Wikis sammelt. Was vielleicht kein Zufall ist. Ein Anti-Astroturfing-Wiki würde jedenfalls gut in die aktuell entstehende Landschaft der Wahrheits-Wikis passen.


Einsortiert unter:Medien, Netzkultur, Recht, Zeitgeist

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